[FR] Offener Brief an Freiburger Bürgermeister

Veröffentlicht am: 27. März 2014
Dieser Beitrag wurde in unserer Kategorie "Freiburg" veröffentlicht

Liebe EinwohnerInnen und BürgerInnen Freiburgs,

sehr geehrter Herr Dr. Dieter Salomon,

wir richten uns in diesem offenen Brief an Sie und an die BürgerInnen Freiburgs, in Bezugnahme auf Ihren auszugsweise in der Badischen Zeitung am 19.02. veröffentlichten Brief an Ihren Kollegen Sadovy, Bürgermeister von Lwiw – die ukrainische Partnerstadt Freiburgs.

Während sich in den letzten Monaten die Ereignisse in der Ukraine und damit auch in Freiburgs Partnerstadt Lwiw überschlagen haben, hat unser Oberbürgermeister den Oppositionellen in Lwiw in einem Brief seine und unsere Solidarität ausgedrückt. Da jetzt auch in westlichen Mainstream-Medien das zuvor vermittelte Bild von Europa-treuen Freiheitskämpfern nicht mehr aufrecht erhalten werden kann und die massive Beteiligung faschistischer Kräfte bei dem Staatsstreich in der Ukraine offensichtlich wird, bekommt ein solcher Brief einen – gelinde gesagt – „faden“ Beigeschmack. Nun kann man ja in Detailfragen durchaus unterschiedliche Auffassungen von Demokratie haben, zumindest an Dreistigkeit grenzt es aber dann doch, wenn ein Bürgermeister im Namen aller BürgerInnen Putschisten einer Partnerstadt die Solidarität versichert, in deren Reihen Nationalismus, Antisemitismus, Neonazismus und Geschichtsrevisionismus dominieren. Herr Dr. Salomon hätte auch schon im Vorfeld wissen müssen, dass es sich bei den Marodeuren zumindest in der Region um Lwiw nicht nur um ein paar aufgebrachte WutbürgerInnen und DemonstrantInnen, die ihre legitime Unzufriedenheit mit der Regierung Janukowitsch Luft machten, handeln kann. Denn die offen faschistische Partei „Swoboda“ erzielte bei den vergangenen Parlamentswahlen im Jahr 2012 in dieser Region das mit Abstand höchste Wahlergebnis der ganzen Ukraine: 38,01% (!) gaben dort den Faschisten ihre Stimme. Eine Partei übrigens, die enge Kontakte zur NPD-Spitze pflegt.

Was aber tun, in dieser Situation?

Unserer Meinung nach hätte ein verantwortungsbewusster, für Demokratie und Frieden eintretender Bürgermeister – mit Kenntnis der faschistischen Gefahr vor Ort – einen Appell zur Wahrung der öffentlichen Ordnung an seinen Kollegen in der Partnerstadt Lwiw richten sollen. Er hätte darauf drängen sollen, die für Mai angesetzten Wahlen abzuwarten statt die von rechten Kräften forcierte Gewaltspirale zu befeuern. Dies wäre das Mindeste gewesen.

Von einem Mitglied einer Partei, die wie keine andere in Gestalt des damaligen Kriegsministers Fischer in den 90er Jahren den vermeintlichen Faschismus in Ex-Jugoslawien bekämpfen wollte und auch sonst vor keiner militärischen oder andersartigen Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten zurückschreckt, sollte man doch meinen, dass es mehr als 10 Jahre später die Dominanz faschistischer Kräfte, nämlich des sogenannten ‚Rechten Sektors’, in den Protesten erkennen würde. Dass nicht dementsprechend gehandelt wurde, ist unserer Meinung nach kein Zufall, sondern kann an Dr. Salomon und somit auch dem in seiner Partei vorherrschendem Demokratieverständnis, das Verhältnis zur EU und zum deutschen Imperialismus festgemacht werden. Freiburgs OB ist nämlich nicht nur irgendein „Herzens-Grüner“, der seinen Hang zum Recyceln in eine parlamentarische Funktion einbetten wollte; vielmehr hat er sich in seiner Dissertation mit dem Demokratieverständnis der Partei „Die Grünen“ eingehend beschäftigt und somit auch richtungsweisend mitbestimmt. Er ist also ein „Überzeugungstäter“, der in der noch gnädigsten Lesart die Unterstützung paramilitärischer rechter Schlägertrupps in Kauf nimmt, wenn es denn nur den wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der EU dient, welche mit einer prowestlichen Orientierung der illegitimen ukrainischen Regierung beantwortet werden. Wer an dieser Stelle nun Wahlkampf wittert, hat einen guten Riecher:

Die Brisanz dieses Solidaritätsbriefes darf unserer Meinung nach in Zeiten der anstehenden Europa- und Kommunalwahlen nicht unterschätzt werden. Wir befinden uns in der schwersten ökonomischen Krise seitdem der Faschismus vor rund 70 Jahren in Europa besiegt wurde. Wir müssen miterleben wie im Zuge der kapitalistischen Krise die arbeitende Klasse und besonders die Jugend Europas ihrer Rechte und materiellen Lebensgrundlage beraubt wurde und so die Krisenlasten zu tragen hat. Dieses Projekt stellt eine Kontinuität zu dem dar, was unter der Regierungsbeteiligung der Grünen für die arbeitende Klasse in Deutschland schon Realität wurde. Mit der „Agenda 2010“ haben wir bitter erfahren müssen, dass der Kampf gegen unsere Grundrechte wie Bildung, Arbeit und ein Leben in Frieden von oben geführt wird und die Grünen fleißig ideologisches Schützenfeuer dazu liefern.

Ausdruck dieser verschärften ökonomischen Situation der letzten Jahre ist auch die zunehmende Stärke rechtpopulistischer bis offen faschistischer Gruppen in vielen Teilen Europas.

Gerade im Angesicht einer solchen Gefahr muss dieser menschenfeindlichen Gesinnung entschlossen entgegen getreten und die Ursachen wie hohe Arbeitslosigkeit und wuchernde soziale Ungleichheit bekämpft werden.

Wie viele andere Parteimitglieder der Grünen betreibt Dr. Salomon das genaue Gegenteil und gibt Machtinteressen die Priorität, sowohl lokal als auch innerhalb Europas.

Wir in Freiburg müssen uns fragen: Wollen wir wirklich in einer Situation, in der der Dampfkessel fast überkocht, Menschen unsere Stimme geben, die das Einflussgebiet der EU zur Not auch mit Hilfe von Faschisten ausweiten möchten und dafür prowestlichen Oligarchen ihre Solidarität übermitteln?

Wir fordern an dieser Stelle die BürgerInnen und BewohnerInnen Freiburgs auf, bei den anstehenden Kommunal- und Europawahlen nicht solchen eine Stimme zu geben, die in unserem Namen undifferenziert Solidarität aussprechen. Denn damit stellen sie auch faschistischen Protestierenden einen Blankoscheck aus.

Lasst uns gemeinsam zeigen, dass wir mit diesem Brief, und mit der EU-Politik, die dahinter steht, nicht einverstanden sind.

Um das deutlich festzuhalten: Wir, als junge BürgerInnen Freiburgs, erklären uns ausdrücklich nicht solidarisch mit der Horde marodierender Putschisten, die einer proeuropäischen Oligarchenfraktion an die Macht verhalfen.

Wir hingegen sprechen den fortschrittlichen Kräften der Ukraine und allen anderen Teilen des ukrainischen Bevölkerung, die Repressionen und Terror ausgesetzt sind, unsere Solidarität aus.

Mit freundlichen Grüßen

SDAJ Gruppe Freiburg

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