1200 Antifaschist_innen haben am Samstag trotz eisiger Temperaturen mit einer Demonstration an den Mössinger Generalstreik von vor 80 Jahren gedacht. Wir möchten an dieser Stelle allen Menschen herzlich danken, die ihren Respekt für die mutigen Mössinger Arbeiter_innen auf die Straße getragen haben – auch heute ist es wichtig, dass antifaschistische Protest in der Öffentlichkeit unüberhörbar gemacht wird! Außerdem gehen unser Dank und unsere solidarischen Grüße an alle, die in den letzten Wochen und Monaten im Rahmen des Demobündnisses bei den Vorbereitungen und der Mobilisierung geholfen haben!
Ein vorläufiger Bericht in Form einer Fotoreportage findet sich hier. (Danke an die Verfasser_innen der Antispe Tübingen!)
Die Lokalzeitung Schwäbisches Tagblatt berichtete mit einem Artikel und einem Videobeitrag.
Der SWR sendete in der abendlichen Landesschau einen kurzen Bericht.
Auch die marxistische Tageszeitung Junge Welt berichtete über die Demo und druckte ein Foto ab: Auf die Straße. Schon im Vorfeld hatte die jw mit mehreren Artikeln ausführlich über den Jahrestag, seinen Kontext sowie die diversen Diffamierungen aus dem konservativen Lager berichtet: Hitler und die CDU – Heraus zum Massenstreik – Ausstellung und Demonstration
Im Folgenden dokumentieren wir die Rede der Vertreter_innen des antifaschistischen Jugendblocks, gehalten auf der Abschlusskundgebung vor der Langass-Turnhalle, dem Ausgangspunkt der Generalstreiksdemonstration von 1933 und wichtigsten Treffpunkt der Mössinger Arbeiter_innenbewegung in den 20er und 30er jahren.
Liebe Mössinger_innen, Liebe Kolleg_innen aus den Gewerkschaften, Liebe Antifaschist_innen, Liebe Genoss_innen
„Heraus zum Massenstreik!“. Unter dieser Parole beschlossen die Arbeiter_innen aus Mössingen und Umgebung vor 80 Jahren den Nazis die Stirn zu bieten. Leider blieben sie mit ihrer Aktion allein. Zum Teil, weil Gleichgesinnte in anderen Teilen Deutschlands zu diesem Zeitpunkt bereits durch Polizei und SA von den Straßen geprügelt worden waren; zum Teil, weil nicht in allen Städten Deutschlands die nötige Einigkeit und Entschlossenheit innerhalb der Arbeiterbewegung herrschte – vielleicht aber auch, und das haben die alten Generalstreiker_innen immer besonders gerne betont, weil hier ein besonders eigensinniges und widerständiges Völkchen lebte. Häufig, wenn es heute in der Öffentlichkeit um den Mössinger Generalstreik geht, ist im Rückblick von „einfachen“ oder sogar etwas „einfältigen“ Menschen die Rede. Ganz so, als wüssten jene, die heute die Geschichte dieser Menschen schreiben, besser darüber bescheid, was damals richtig und was falsch, was damals möglich und was Träumerei gewesen ist. Für uns ist klar, dass eben diesen vermeintlich „einfachen“ Menschen heute unsere ganze Sympathie gehört – und es erfüllt uns mit Trauer, dass an diesem 80. Jahrestag keinE lebendeR Zeitzeug_in mehr unter uns sein kann. Es waren nämlich genau diese „einfachen“ Menschen, Weberinnen, Zuschneider, Näherinnen, Maurer, Glaser, Schreiner, Zimmerleute und Kleinbäuerinnen, die am 31. Januar vor 80 Jahren mehr Weitblick, mehr Mut und mehr Entschlossenheit bewiesen haben, als all die großen Männer, die angeblich seit je her die Geschichte machen. Diesen „einfachen“ Leuten gilt heute unser Gedenken!
Als eine neue Generation von jungen Antifaschist_innen betrachten wir es als unsere Pflicht, von den Kämpfer_innen von gestern für die Kämpfe von heute und morgen zu lernen. Wir können von ihnen lernen, nicht weg zu schauen, nicht die Augen zu verschließen vor Unrecht, Verfolgung und Tyrannei. Wir können von ihnen lernen, was Unerschrockenheit, Opferbereitschaft und Solidarität bedeuten. Wir können von ihnen lernen, wie wichtig Organisation und Zusammenhalt sind – nicht nur im Wort, sondern auch in der Tat. Sie haben damals den politischen Streik als ihre Waffe gewählt – es ist an uns, uns diese Waffe auch für die Zukunft wieder zu erkämpfen!
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“, sagte Bertolt Brecht kurz nach Ende des Krieges. Damit wollte er seine Zeitgenoss_innen vor der Möglichkeit einer neuen faschistischen Gefahr warnen. Diese Warnung hat heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Wir leben in einem Staat, der bei jeder Gelegenheit marschierenden Neonazis die Straßen frei prügelt. Engagement gegen Faschismus und Rassismus wird systematisch verfolgt, kriminalisiert und in der Öffentlichkeit diffamiert. Und all das geschieht im selben Land, in dem eine neonazistische Terrorgruppe namens NSU jahrelang unter der schützenden Hand des sogenannten Verfassungsschutzes Menschen ermorden konnte.
Wenn es nach den Herrschenden geht, steht der Feind natürlich immer links – und das gilt heute genau so, wie vor 80 Jahren. Die Nazis haben sich damals nicht an die Macht geputscht, sondern sie wurden von der herrschenden Klasse an die Macht befördert. Nicht zuletzt, weil sie versprochen hatten, den Marxismus und die Arbeiterbewegung „mit Stumpf und Stiel“ auszulöschen. Um so erschreckender ist es, dass heute wieder vermehrt Stimmen laut werden – auch hier in Mössingen – die Nazis und Kommunist_innen auf eine Stufe stellen wollen. Jene, die heute vom sogenannten rechten und linken Extremismus reden, als seien es zwei Seiten einer Medaille, stellen sich damit nicht nur in eine Traditionslinie mit denen, die damals, vor 80 Jahren, zuhause geblieben sind und nichts vom Widerstand wissen wollten, sondern sie stehen letztlich in einer Traditionslinie mit jenen Kräften, die damals den Nazis an die Macht geholfen haben. Wir wehren uns gegen jede Geschichtsverdrehung, die zu verschleiern versucht, dass der Faschismus in Wirklichkeit ein Herrschaftsinstrument des Kapitalismus war und aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft kam.
Wer heute Nazis mit Kommunist_innen gleichsetzt, setzt Täter mit Opfern gleich, Tyrannei mit Widerstand. Nicht die Kommunist_innen haben die Weimarer Republik im Blut ertränkt, sondern die Kapitalistenklasse und ihre faschistischen Kettenhunde. Während die kommunistische Bewegung immer die Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung zum Ziel hatte, haben sich die Nazis von den ersten Tagen ihrer Bewegung an Ausbeutung, Unterdrückung, Versklavung und Vernichtung auf die Fahnen geschrieben. Tausende von Kommunist_innen leisteten Widerstand und wurden dafür in den Folterkellern und Konzentrationslagern der Nazis ermordet. Nicht die Sowjetunion hat den Zweiten Weltkrieg entfesselt, sondern das faschistische Nazideutschland. Überall in den von der Wehrmacht eroberten Gebieten kämpften Kommunist_innen im Untergrund und in Partisaneneinheiten gegen die faschistischen Besatzer. Die Sowjetunion hatte im Krieg gegen den deutschen Faschismus mit über 25 Millionen Toten die meisten Opfer zu beklagen – wie kann es sein, dass heute, im Land der Täter, das seine Befreiung nicht zuletzt diesem unvorstellbaren Menschenopfer verdankt, die Befreier mit den Nazis gleichgesetzt werden?
Leider stimmt es, dass damals, vor 80 Jahren, nirgends nichts gewesen ist außer hier. Aber hier ist etwas gewesen! Und das war ganz maßgeblich den Mössinger Kommunist_innen zu verdanken. Diese Tatsache darf an einem Tag wie heute nicht verschwiegen werden! Die Menschen, die hier vor 80 Jahren gegen Faschismus und Krieg gestreikt haben, haben das nicht etwa getan, trotz oder obwohl viele Kommunist_innen unter ihnen waren, sondern gerade weil es im „Roten Mössingen“ so eine starke kommunistische Bewegung gab.
Wir dürfen uns heute als antifaschistische Bewegung nicht spalten lassen, weder von der antikommunistischen Hetze noch von der Extremismusdoktrin, die uns mit alten und neuen Nazis auf eine Stufe stellen will. Polizei und Verfassungsschutz versuchen einen Keil zwischen uns zu treiben, in dem sie vor allem jugendliche Antifaschist_innen und als extremistisch und antidemokratisch kriminalisieren – das dürfen wir nicht zulassen! Erfolgreicher Antifaschismus braucht breite Bündnisse und tatkräftige Solidarität– kämpfen wir in diesem Sinne also gemeinsam, Seite an Seite, gegen Krieg, Rassismus, Antisemitismus und Faschismus!
Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!
Für die antifaschistische Solidarität und die Massenstreiks der Zukunft!
Uneingeschränkte Versammlungsfreiheit und politisches Streikrecht erkämpfen!
Verbot der NPD und aller faschistischen Organisationen!
Hoch die internationale Solidarität!