In Istanbul wurde vergangene Woche ein Protestcamp von Umweltaktivist_innen am zentralen Taksim-Platz tagelang von der Polizei angegriffen und letztlich brutal geräumt. Ursprünglich richtete sich der Protest gegen den Bau eines Einkaufszentrums, dem eine der letzten Grünflächen in Istanbuls Innenstad, der Gezi-Park, weichen soll. Die Polizei griff die friedlichen Protestierenden mit aller Härte an, es kam zu hunderten Verletzten durch Knüppel, Tränengasgranaten und Wasserwerfer. Zum Teil verriegelte die Polizei U-Bahnhöfe und attackierte die darin eingesperrten Menschen mit Tränengas. Im Laufe der Proteste wurden mehrere Demonstrant_innen getötet; die türkische Ärzteschaft spricht bisher von rund 1000 Verletzten, die sich in Behandlung befinden. 1500 Demonstrant_innen wurden bisher verhaftet.
Nach mehrtägiger Konfrontation musste sich die Polizei nun vom Taksim-Platz, der durch die großen Demonstrationen am 1. Mai bekannt ist, zurückziehen. Infolge der massiven Polizeigewalt kam es in über 90 türkischen Städten zu Solidaritätsdemonstrationen. In der Hauptstadt Ankara, in der sich tausende Demonstrant_innen unweit des Parlaments versammelten, hinderte die Polizei diese mit aller Härte daran, sich dem Parlament zu nähern. Mittlerweile gibt es Berichte von einigen Polizeieinheiten aus Izmir und Edirne, die sich weigern, weiter gegen die dortigen Demonstrationen vorzugehen.
Die Proteste richten sich längst nicht mehr nur gegen den Bau eines Einkaufszentrums, sondern gegen den Kurs der Regierung Erdoğan und ihre repressive Politik. Gegen streikende Arbeiter_innen geht diese mit besonderer Härte vor, gefährden Streiks und Lohnforderungen doch die Profitinteressen der türkischen Bourgeoisie. Am Sonntag Abend griff die Polizei das Gebäude an, in dem die Zentrale der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) untergebracht ist. Die Einsatzkräfte feuerten Gasgranaten in die Cafeteria im Erdgeschoss, wodurch mehrere Menschen verletzt wurden. In Iskendrun hat die Polizei nach Angaben der Tageszeitung Junge Welt das Feuer auf mehrere Mitglieder der Partei eröffnet. Ein Genosse wurde dabei auf der Flucht schwer verletzt und schwebt in Lebensgefahr.
In Frankfurt wurden am Samstag während der Blockupy-Aktionstage tausende Menschen von der Polizei am Demonstrieren gehindert und unter massiver Polizeigewalt gestoppt, gespalten und stundenlang eingekesselt. Auch Genoss_innen aus Tübingen waren von der Repression betroffen. Mit diesem brutalen Einsatz wurde nicht nur, wie schon letztes Jahr, das Demonstrationsrecht faktisch außer Kraft gesetzt – dieses Mal ging die Staatsmacht noch einen Schritt weiter: Sie widersetzte sich mit dem Kessel und den Attacken auf die Demo aktiv dem Gerichtsbeschluss des Verwaltungsgerichtshofes in Kassel, der die Demoroute ausdrücklich genehmigt hatte. Fast 10 Stunden lang wurde die Demonstration festgehalten, gefilmt und immer wieder mit Pfefferspray attackiert. Mit diesem Vorgehen tritt die Staatsmacht nicht nur unsere Rechte sprichwörtlich mit Füßen, sie gefährdet bewusst Gesundheit und Leben aller Demonstrationsteilnehmer_innen. Jeder Schlagstockeinsatz bedeutet potentiell blaue Flecken, Knochenbrüche, Platzwunden und schlimmeres. Das von der deutschen Polizei eingesetzte Pfefferspray ist ein in internationalen Konflikten geächteter chemischer Kampfstoff. Wie seit langem bekannt ist kann jeder Einsatz der chemischen Keule tödlich enden. Allein in der zweiten Jahreshälfte 2008 sind in der BRD mindestens drei Menschen aufgrund von Pfefferspray gestorben.
In was für einem Staat leben wir? Die Ereignisse der letzten Tage haben in aller Deutlichkeit gezeigt: Überall da, wo sich Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse regt, zeigt der bürgerliche Staat sein wahres Gesicht. Nicht nur in der Ländern Südeuropas, wo Bilder von Straßenschlachten und massiver Polizeigewalt seit Beginn der Austeritätspolitik der Troika zum Alltag gehören, sondern auch in den kapitalistischen Metropolen. Die Politik, die in Griechenland für deutsche Profitinteressen Millionen von Menschen in die Armut zwingt, wird, wenn nötig, auch im Hinterland mit aller Härte gegen jeden Widerstand durchgesetzt. Dieser Staat ist nicht unser Staat, sondern der Staat des Kapitals – er vertritt nicht unsere Interessen, also die Interessen aller Lohnabhängigen, sondern die Interessen der Banken und Konzerne. Wenn wir für eine Perspektive jenseits des Kapitalismus kämpfen wollen, dann müssen wir lernen, uns gegen die Angriffe dieses Staates zu wehren – gelingen kann uns das nur gemeinsam und solidarisch.
Auch wenn Schlagstöcke, Pfefferspray und Kugeln immer nur einzelne treffen, gemeint sind wir alle, treffen kann es jede und jeden.
Unsere Solidarität gegen ihre Repression – in Frankfurt, Istanbul und überall!
Hoch die internationale Solidarität!