Weltweit wird jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens vergewaltigt oder geschlagen. Trotz dieses erschreckenden Ausmaßes werden die Opfer von Übergriffen häufig mit der Bewältigung der Tat allein gelassen. Anstatt anzuerkennen, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handelt, wird Gewalt gegen Frauen als „individuelles Pech“ oder „erschreckender Einzelfall“ dargestellt – und manchmal wird sogar den Opfern die Schuld für das Verbrechen gegeben.
Die weltweite Demonstration „One Billion Rising“ macht auf diese Missstände aufmerksam. Sie findet seit 2013 jedes Jahr am 14. Februar statt. Die Teilnehmenden protestieren gegen Gewalt an Frauen und zeigen ihre Solidarität mit den Betroffenen.
Für uns als SDAJ ist klar, dass wir diese Demonstration unterstützen. Wir sehen Gewalt an Frauen als gesellschaftliches Problem und nicht als natürliche Gegebenheit. Darum denken wir, dass man die Gesellschaft verändern muss, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern.
Gemeinsam mit den anderen TeilnehmerInnen sammelten wir uns daher am 14. Februar ab 16 Uhr auf dem Europaplatz. Von dort ging es los in Richtung Marktplatz. Mit unserem blauen „Fight-for-your-Rights!“-Transparent liefen wir im hinteren Teil der Demonstration und verteilten unser Flugblatt (s. unten). Dabei ergaben sich viele interessante Gespräche mit anderen TeilnehmerInnen.
Die Demonstration machte jeweils Zwischenstopps auf der Neckarbrücke und dem Holzmarkt, wo einige TeilnehmerInnen den Tanz aufführten, der eigens für One Billion Rising entwickelt wurde. Auf der Strecke dazwischen sorgte die Samba-Gruppe ordentlich für Stimmung. Die Abschlusskundgebung fand schließlich auf dem Marktplatz vor dem Rathaus statt, wo trotz Kälte mehrere Hundert Personen teilnahmen.
Wir freuen uns, dass diese Aktion in Tübingen stattfindet und bedanken uns bei den VeranstalterInnen für die Organisation. Wir denken aber, dass die Ausrichtung von One Billion Rising – Tanzen, um auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen und für sich selbst Energie zu schöpfen – die Gewalt nicht verhindern wird. Eben weil es sich nicht um ein individuelles, sondern ein strukturelles Problem handelt, muss der Kampf gegen Frauenunterdrückung ein Adressat haben: Den kapitalistischen Staat und das von ihm protegierte Wirtschaftssystem. Frauenunterdrückung ist kein Naturgesetz – wir fordern Gleichberechtigung auf allen Ebenen! Und dafür sind wir auch nächstes Jahr wieder mit dabei wenn es heißt: Schluss mit seelischer und körperlicher Gewalt an Mädchen und Frauen! Hoch die internationale Solidarität!
Du hast Lust, dich politisch zu engagieren oder möchtest mit uns über unsere Positionen diskutieren? Dann melde dich unter kontakt@tuebingen.sdaj-bawue.de . Wir freuen uns auf Dich!
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SDAJ Tübingen Flyer bei One Billion Rising
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One billion rising against patriarchy!
Gewalt gegen Frauen ist kein individuelles „Pech“ sondern hat System. Es hilft daher nicht, nur an das „Mitgefühl“ von Männern persönlich zu appellieren, sondern das Problem muss als Folgeproblem dieser Gesellschaft, dieser Wirtschaftsform und des Staates der sie absichert, verstanden und bekämpft werden:
Im Kapitalismus werden klassische Frauenberufe (z.B. Erzieher*in,Pflegeberufe, Kassierer*in) äußerst schlecht bezahlt, sodass für diese Kolleginnen und Kollegen ein eigenständiges Leben mit Kindern nicht möglich ist. Auch in besser bezahlten Berufen haben Frauen schlechtere Chancen: In Bewerbungsverfahren wird eine mögliche Schwangerschaft als Risiko gewertet und später führt die „Babypause“, die meist von Frauen genommen wird, zu einem Wettbewerbsnachteil gegenüber den Kollegen. Aus diesen Gründen ergibt sich zwischen Männern und Frauen ein Einkommensunterschied von durchschnittlich 22%. Frauen fungieren im Kapitalismus häufig als Lohndrücker*innen, was sich negativ auf alle Löhne auswirkt. Billige Frauenarbeit liegt also im Interesse der Konzerne, um die Arbeiter*innenklasse zu spalten.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse fördern also weibliche Abhängigkeit und begründen somit ein Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern was letztendlich auch physische und verbale Gewalt gegenüber Frauen begünstigt. Diese Ungerechtigkeit lässt sich nur aufrechterhalten, weil frauenfeindliche Vorstellungen immer noch tief in der Gesellschaft verankert sind. Sexismus erfüllt für den Kapitalismus also eine wichtige Funktion. Deshalb kann er auch nur durch die Abschaffung des Kapitalismus endgültig verschwinden.
Alltagssexismus und Macho-Gehabe sind in der Gesellschaft und den Köpfen verankert. Belästigungen in der Öffentlichkeit und sexistische Sprüche im Bekanntenkreis werden als „Flirten“ oder „Witze“ entschuldigt und wer einen kurzen Rock trägt, soll ja bekanntlich selbst schuld sein. In einer solchen Tätergesellschaft werden Täter entschuldigt und Opfern wird die Schuld zugeschoben.
Fast alle Gewaltverbrechen passieren in Beziehungen Die Frauen kennen die Täter also schon vorher (Partnerschaft, Familie, Arbeitskollegen, Bekanntenkreis). Die Hemmschwelle sich zu wehren oder Anzeige zu erstatten ist in diesen Fällen noch höher. Institutionen wie Frauenhäuser können hier helfen doch sind – wie so viele soziale Einrichtungen – chronisch unterbezahlt. Was keinen Profit abwirft, hat im Kapitalismus natürlich keine Priorität. Auch in Tübingen fehlt momentan eine Beratungsstelle für Opfer sexualisierter Gewalt. Ob die Stadt hierfür einen Zuschuss gewährt, ist noch nicht sicher.
Der Staat in dem wir leben schafft nicht die rechtlichen Bedingungen, um Frauen vor Gewalt zu schützen. Rechtliche Verbesserungen mussten schon immer gegen einen patriarchalen Staat erkämpft werden. Beispiele hierfür sind das Wahlrecht für Frauen oder die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungen in der Ehe. Erst seit 1997(!) gilt dies als eine Straftat!
Und auch heute noch führt der umstrittene § 177 StGB dazu, dass die allermeisten Vergewaltigungen straflos bleiben. „Nein!“ sagen oder Weinen gelten nicht als ausreichende Gegenwehr. Nur wenn die Opfer schwere Verletzungen vorzuweisen haben, kann eine Vergewaltigung zur Verurteilung führen. 2012 führten daher nur 8,4%(!) der angezeigten Vergewaltigungen zu Verurteilungen. Und: Verbale Belästigung oder Stalking kann man nicht einmal anzeigen!
Wir fordern:
- Solidarität gegen Alltagssexismus! Seht nicht weg, wenn vor euch Frauen belästigt oder wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden!
- Änderung des § 177 StGB, sodass jede Vergewaltigung strafbar wird
- Eine deutliche Aufwertung der Sozial- und Pflegeberufe. Frauen brauchen ein Einkommen, das sie unabhängig macht!
- Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Schluss mit der schlechteren Bezahlung von Frauen!
- Mehr öffentliche Gelder für das städtische Frauenhaus und das Frauenprojektehaus in Tübingen!
Gemeinsam gegen Ausbeutung, Sexismus und frauenverachtende Gewalt