{"id":249,"date":"2013-12-09T11:49:59","date_gmt":"2013-12-09T10:49:59","guid":{"rendered":"http:\/\/www.sdaj-netz.de\/bloglv-bawue\/?p=249"},"modified":"2013-12-09T11:49:59","modified_gmt":"2013-12-09T10:49:59","slug":"position-kampf-der-belegschaft-im-norgren-werk","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.bawue.sdaj.org\/2013\/12\/09\/position-kampf-der-belegschaft-im-norgren-werk\/","title":{"rendered":"REPORT: Kampf der Belegschaft im Norgren-Werk"},"content":{"rendered":"

Zum dritten Mal soll das Norgren-Werk verlagert werden. Zwei Mal haben die Besch\u00e4ftigten es bereits verhindern k\u00f6nnen. Jetzt stehen sie im unbefristeten Streik, um es auch dieses Mal noch zu schaffen.<\/strong><\/p>\n

Im folgenden ver\u00f6ffentlichen den Beitrag eines Genossen aus T\u00fcbingen der in der aktuellen Ausgabe der POSITION<\/a> (unserem Jugendmagazin) erschienen ist. Seit dem Erscheinen des Artikels <\/em>\u00fcber den Kampf der Belegschaft des Norgren-Werks <\/em>haben sich IG-Metall und Gesch\u00e4ftsf\u00fchrung auf einen Sozialplan geeinigt \u2013 an der Schlie\u00dfung des Werks wird festgehalten.<\/em><\/p>\n

\"norgren\"<\/a>\u201eHier, nehmt ein paar Ratschen und Pfeifen. Wir werden jetzt erst einmal ordentlich L\u00e4rm machen\u201c, sagt ein Norgren-Kollege und wir haben, ehe wir uns versehen, je ein Paket Pfeifen und Ratschen in der Hand. Seit dem 14.10.13 sind die Kolleginnen und Kollegen im Werk Gro\u00dfbettlingen jetzt schon im Streik \u2013 Tag und Nacht. Die Stimmung ist k\u00e4mpferisch. Aber vor allem ist es laut. Man merkt, dass die Streikenden es ernst meinen \u2013 nicht nur, aber auch bei den Trillerpfeifen. Es ist einer dieser kalten Novembermorgen. Wir sind als SDAJ-T\u00fcbingen zum Werk gefahren, um den Streikenden unsere Solidarit\u00e4t zu zeigen und sie zu unterst\u00fctzen.<\/p>\n

Eiskalter Rauswurf<\/strong><\/p>\n

Das Werk produziert gr\u00f6\u00dftenteils pneumatische Speziall\u00f6sungen f\u00fcr LKWs. \u201eWenn wir nicht weiter produzieren, rollen in Europa keine weiteren LKWs mehr vom Band\u201c, meint eine Kollegin im Streikzelt. Damit wird wohl mehr als deutlich, welche Rolle dieses Unternehmen im internationalen Wettbewerb spielt. Norgren ist einer der weltweit f\u00fchrenden Anbieter von Antriebstechnik. Jetzt soll das Werk in Gro\u00dfbettlingen nach Tschechien verlagert werden.<\/p>\n

\u201eDas war wirklich skandal\u00f6s, wie das abgelaufen ist\u201c erz\u00e4hlt uns Mike (Name ge\u00e4ndert), der auch Mitglied des Betriebsrats ist. \u201eWir als Betriebsrat wurden zu einer au\u00dferordentlich Aufsichtsratssitzung in das Werk in Alpen am Niederrhein gerufen, wo uns die Schlie\u00dfung von Gro\u00dfbettlingen verk\u00fcndet wurde. Und in diesem Augenblick wurde den Kolleginnen und Kollegen hier in Gro\u00dfbettlingen am Freitagmittag in der Kantine gesagt, dass das Werk schlie\u00dfen wird, sie jetzt nach Hause gehen sollten, um \u00fcber\u2019s Wochenende klar zu kommen, damit sie am Montag dann wieder professionell arbeiten k\u00f6nnen.\u201c Dadurch sollte verhindert werden, dass der Betriebsrat direkt Widerstandsma\u00dfnahmen ergreifen kann und sich die Kolleginnen und Kollegen beraten k\u00f6nnen. Diese Strategie ist perfide, aber durchaus nichts Neues. Auch der Freitag ist kein Zufall: W\u00fcrden sich die Besch\u00e4ftigten direkt am n\u00e4chsten Tag im Werk wiedersehen, w\u00e4re es f\u00fcr sie viel leichter, sich zu solidarisieren und Widerstand zu entwickeln. Der Firma ist es lieber, wenn sie alle alleine zu Hause sitzen und individuelle L\u00f6sungswege suchen.<\/p>\n

Terror durch die Security<\/strong><\/p>\n

Als die Besch\u00e4ftigten am Montag wieder an ihre Arbeitspl\u00e4tze kommen, geht der Terror los. Beim Schuhwechseln, beim Arbeiten oder beim Verlassen des Werks bedr\u00e4ngt der Sicherheitsdienst die Kolleginnen und Kollegen. \u201eWir hatten hier in den ersten Tagen Kolleginnen, die haben auf Arbeit 7 Stunden lang geweint, weil sie so bedr\u00e4ngt worden sind. Die waren traumatisiert. Das war eigentlich der Punkt, an dem wir das erste Mal rausgegangen sind, also gestreikt haben. Wir wollten erst wieder reingehen, wenn die Security weg ist\u201c, berichtet Mike, w\u00e4hrend wir gemeinsam im Streikzelt stehen und uns etwas aufw\u00e4rmen.
\nDie Sicherheitsleute bei Norgren kommen von der Firma \u201eCorrect Control\u201c, einem Ableger von \u201eThomas Haller Security\u201c. Haller gr\u00fcndete seine Firma in den 1990er Jahren. Gleichzeitig gr\u00fcndete er auch die Gruppe \u201eHoonara\u201c (Abk\u00fcrzung f\u00fcr: Hooligans, Nazis, Rassisten). Damit sind auch der Charakter und das Personal von \u201eCorrect Control\u201c ausreichend beschrieben. Die Arbeit von Correct Control im Werk bestand darin, die ArbeiterInnen einzusch\u00fcchtern und zu beobachten. Auch Drohungen von abendlichen Privatbesuchen zu Hause, nat\u00fcrlich wenn die jeweilige Person gerade alleine war, damit es keine Zeugen gibt, waren an der Tagesordnung. \u201eSie soll aufpassen, wie sie sich auff\u00fchrt, wir machen normalerweise auch Hausbesuche\u201c soll ein Security gegen\u00fcber einer Kollegin gesagt haben. Auch bei Verhandlungen des Betriebsrates mit der Werksleitung waren sie anwesend, trotz der Pr\u00e4senz der Polizei.<\/p>\n

\u201eWir vermuten, dass Norgren eine Art Kopfpr\u00e4mie ausgesetzt hat, denn jeder Ausrutscher kann mit einer fristlosen K\u00fcndigung geahndet werden. Oder die Leute gehen gleich von selbst, weil sie dem Druck nicht mehr standhalten\u201c, sagt Mike. Nur beweisen kann man nichts, weil der Sicherheitsdienst immer dann besonders aufdringlich wird, wenn die Leute gerade alleine sind. In beiden F\u00e4llen m\u00fcsste Norgren keine teuren Abfindungen zahlen.<\/p>\n

Leiharbeit und Werkvertr\u00e4ge<\/strong><\/p>\n

Doch damit nicht genug. Eine Kollegin im Streikzelt, die ebenfalls anonym bleiben m\u00f6chte, berichtet uns \u00fcber den Einsatz von Leiharbeit und Werkvertr\u00e4gen. \u201eHier sieht man, dass Leiharbeit von Grund auf schei\u00dfe ist, sag ich mal. Wenn sie denn tats\u00e4chlich f\u00fcr Auftragsspitzen genutzt werden w\u00fcrde, dann w\u00e4re das ja in Ordnung, aber das ist \u00fcberhaupt nicht der Fall.\u201c Die Leiharbeit wird als Mittel des Unternehmers zum Streikbruch verwendet. Waren die vergangenen Auseinandersetzungen mit der Betriebsleitung aufgrund der k\u00e4mpferischen Haltung seitens der Belegschaft und ihrem hohen Organisationsgrad in der IG-Metall zu Gunsten der Arbeiter ausgegangen, so ist das jetzt nicht mehr so, denn \u201ewenn hier kein Leiharbeiter drin w\u00e4re, h\u00e4tten wir schon l\u00e4ngst gewonnen\u201c, berichtet der Betriebsrat. Durch den (illegalen!) Einsatz der Leiharbeiter als Streikbrecher wird damit die Kraft der Belegschaft untergraben und zugleich gespalten. \u201eDie erste Leiharbeitsfirma haben wir \u00f6ffentlich unter Druck gesetzt. Daraufhin wurde der Vertrag zwischen ihr und Norgren aufgel\u00f6st. Jetzt ist eine andere Firma angeheuert. Die machen aber keine Leiharbeit sondern Werkvertr\u00e4ge, und jetzt k\u00f6nnen wir juristisch nichts mehr machen. Im Endeffekt ist es in diesem Fall aber das gleiche: Streikbruch.\u201c<\/p>\n

Antwort: Widerstand<\/strong><\/p>\n

Die hundertzwanzig-k\u00f6pfige Belegschaft kommt aus der Region und kennt sich auch privat. Man besucht den ortsans\u00e4ssigen Chor, spielt gemeinsam Fu\u00dfball. Es ist eine Belegschaft, die bereits zwei Mal gemeinsam erfolgreich gegen die Standortschlie\u00dfung k\u00e4mpfte. Sie k\u00e4mpfen mit voller Kraft gegen eine Betriebsschlie\u00dfung, denn sie wissen, dass es keine Alternative gibt: Trotz der illegalen Handlungen seitens der Werksleitung, dem Einsatz von Leiharbeitern, trotz diverser repressiver Ma\u00dfnahmen gegen\u00fcber den Arbeitern, die st\u00e4ndig ihre Rechte einklagen m\u00fcssen, l\u00e4sst sich die Belegschaft nicht unterkriegen.
\nWie wichtig Solidarit\u00e4t bei einer solchen Auseinandersetzung ist, macht die Kollegin aus dem Streikzelt deutlich: \u201eTrotz des gegenteiligen Versprechens hat Norgren Anfang Oktober abends angefangen die Maschinen abzutransportieren. Wir haben davon durch die Nachbarn erfahren, die uns sofort angerufen haben. Wir haben dann schnell alles was wir konnten mobilisiert und das Tor blockiert. Auch die IG-Metall, die nat\u00fcrlich von Anfang an dabei war, hat sich eingeschaltet. Jede Person, die vorbeikommt, gibt uns einen Grund, einen weiteren Streiktag durchzuf\u00fchren.\u201c.<\/p>\n

Hier wird auch deutlich, wie bedeutsam ein k\u00e4mpferischer Betriebsrat f\u00fcr die Entwicklung von Widerstand ist, obwohl \u201ebesonders wir in Bayern und Baden-W\u00fcrttemberg weniger Mitbestimmungsrechte als in anderen Bundesl\u00e4ndern haben\u201c, wie uns der Betriebsrat sagt, \u201eund die Gerichte die Urteile fast immer f\u00fcr die Seite der Werksleitung f\u00e4llen.\u201c Der Kampf der Besch\u00e4ftigten bei Norgren macht einmal mehr deutlich: Unternehmer k\u00f6nnen, aufgrund der \u00f6komischen Sachzw\u00e4nge, keine Partner sein. Zugest\u00e4ndnisse werden nur gemacht, um die Belegschaft ruhig zu halten. Wenn sich mehr Profit in Tschechien machen l\u00e4sst, dann werden 120 Schicksale ohne mit der Wimper zu zucken auf dem Altar des Profits geopfert oder wie es unsere Kollegin aus dem Streikzelt formuliert: \u201eWir sollen mit unseren Arbeitspl\u00e4tzen f\u00fcr die Aktion\u00e4re bluten. Aber da machen wir nicht mit.\u201c<\/p>\n

Omar, T\u00fcbingen & Jann, Essen<\/em><\/p>\n

Aus: POSITION \u2013 Magazin der SDAJ<\/a>, Nr. 1 | 2014<\/em>
\n Die n\u00e4chste Ausgabe der POSITION erscheint am 9. M\u00e4rz 2014<\/em><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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